Familie Auerbach
Im Dezember 2025 konnte ein geraubtes Buch der Familie Auerbach zurückgegeben werden.
Das Lateinisch-deutsche Schulwörterbuch von 1911 wurde 1942 von der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin geliefert. Die Berliner Stadtbibliothek (BStB) erwarb es zusammen mit ~130 weiteren Büchern, jeweils etwa zur Hälfte Wörterbücher und fremdsprachige Literatur. Nur kurze Zeit später beschaffte die BStB über die Pfandleihanstalt sich ~40.000 Bücher, die nachweislich aus den letzten Wohnungen von deportierten jüdischen Berlinerinnen und Berlinern stammten. Mit dem momentanen Forschungsstand ist davon auszugehen, dass auch die 1942 angekauften Bücher sämtlich als NS-Raubgut zu bewerten sind.
Anhand der Adresse Arndtstr. 64 konnte eine zweifelsfreie Verbindung zur Dortmunder Familie Auerbach hergestellt werden. An dieser Adresse befand sich das Heim des Unternehmers Paul Auerbach (1868–1930), seiner Frau Stephanie Auerbach, geb. Lehmann (1880–1936) und ihrer drei Söhne Karl/Carl (geb. am 29. September 1902 in Dortmund), Walter (geb. am 2. April 1908 in Dortmund) und Arthur (geb. am 26. Juni 1910 in Dortmund).
Carl Auerbach studierte nach seiner Schulausbildung in Dortmund zunächst Jura in Bonn und München, brach das Studium allerdings nach drei Semestern ab, um nach dem Tod eines Onkels im Familienbetrieb Gebr. Auerbach mitzuhelfen. Um 1930 wurde die Firma infolge der Weltwirtschaftskrise aufgelöst, und Carl Auerbach zog nach dem Tod seines Vaters nach Berlin, wo er zunächst als Handelsvertreter tätig war. 1931 heiratete er die aus Barmen (Wuppertal) stammende Musikerin Hildegard (Hilda) Czibulski (1903–1987).
Nach der Machtübertragung waren Carl und Hilda Auerbach der Judenverfolgung im Nationalsozialismus ausgesetzt. So wurden etwa die Fensterscheiben ihrer Wohnung bereits 1933 nachts eingeschlagen. Ab dem gleichen Jahr war Carl Auerbach Generalvertreter für Berlin und Brandenburg der Schnellwaagenfabrik Rapido aus Dresden-Radebeul. 1938 wurde Carl Auerbach aufgrund seiner jüdischen Herkunft gekündigt. Da er keine Anstellung mehr fand, musste er u.a. sein Ford-Automobil weit unter Wert verkaufen. 1939 gelang den Auerbachs die Flucht nach Großbritannien, wo Carl zunächst als Hausdiener Arbeit fand – er hatte zuvor in Berlin einen Kurs an einer Dienerschule besucht. Hilda arbeitete im gleichen Haushalt als Köchin. Die Einrichtung der gemeinsamen Wohnung in der Motzstr. 78 musste in Berlin verbleiben, inklusive u.a. eines Steinway-Flügels und einer Bibliothek von ca. 2.000 Bänden. Nachdem er in England kurzzeitig als Enemy Alien interniert worden war, wurde Carl Auerbach Fahrer im Luftschutz und Sanitäter. Hilda Auerbach litt infolge der NS-Verfolgung an schweren Depressionen und dauerhaften Angstzuständen.
Nach Kriegsende fand Carl Auerbach nach und nach wieder Arbeit als Handelsvertreter. Die Ehe mit Hilda Auerbach ging nach 1945 in England auseinander. 1962 heiratete Carl Auerbach die ebenfalls nach England geflohene Barbara Theodora Güttel (geborene Wohlwill, geb. am 12. Oktober 1908 in Hamburg), mit der er bereits seit etwa 1950 zusammen in Croydon, Surrey, gelebt hatte. Carl Auerbach verstarb 1975 in England, Barbara Auerbach folgte ihm 1991.
Walter Auerbach war Bühnenbildner und Fotograf. Nach der Reifeprüfung in Dortmund studierte er Kunstgeschichte in Marburg und war Assistent und später selbständiger Bühnenbildner in Münster, Darmstadt und schließlich in Berlin, u.a. am Theater am Schiffbauerdamm. Hier lebte er ab etwa 1930 zusammen mit den Fotografinnen Grete Stern (1904–1999) und Ellen Rosenberg (geb. 20. Mai 1906 in Karlsruhe), die gemeinsam das Fotostudio ringl + pit betrieben. Walter Auerbach arbeitete weiter als Bühnenbildner, ab 1933 u.a. beim Jüdischen Kulturbund. Er war eng mit dem marxistischen Philosophen Karl Korsch befreundet und Mitglied in der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD).
Walter Auerbach, Ellen Rosenberg und Grete Stern waren im nationalsozialistischen Deutschland als jüdisch verfolgt. Alle drei flohen bereits 1933, Walter Auerbach und Ellen Rosenberg zunächst ins Britische Mandatsgebiet Palästina, wo sie zusammen Ishon, ein Fotostudio für Kinderfotografie, eröffneten und u.a. den Film „Tel Aviv“ für den Jüdischen Nationalfond (KKL) drehten. Walter Auerbach kehrte zeitweise nach Berlin zurück, bis er im Januar 1935 Deutschland endgültig verließ. Seine Wohnung in der Kurfürstenstr. 20 überließ er seinem Bruder Arthur, mitsamt dem Mobiliar und einer Bibliothek von ca. 1.200 Büchern.
Nach Beginn der arabischen Aufstände im Britischen Mandatsgebiet Palästina ab 1936 entschlossen sich Walter Auerbach und Ellen Rosenberg dazu, das Fotostudio Ishon wieder aufzulösen und Palästina zu verlassen. Sie zogen zunächst zu der nach London geflohenen Grete Stern und knüpften dort über diese Kontakte zu Künstler*innen und Exilant*innen, u.a. zu Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Walter Auerbach und Ellen Rosenberg erhielten jedoch in England keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, und so emigrierten beide in die USA. Zuvor heirateten sie 1937 in England, auch weil damit nur ein gemeinsames Visum für die USA besorgt werden musste.
In den USA lebten Walter und Ellen Auerbach zunächst in Elkins Park, Pennsylvania, einem Vorort von Philadelphia, und verdingten sich mit Kinderfotografie. Walter Auerbach fand keine Anstellung als Bühnenbildner und arbeitete u.a. auch als Hausdiener, Bauarbeiter, Matrose und Hausierer. Ellen Auerbach schaffte es 1938 mit einem Kinderfoto auf das Cover von Life und etablierte sich als Fotografin. Das Paar knüpfte Kontakte zu Künstler*innen wie Willem de Kooning und Fairfield Porter und Walter erneuerte seinen Kontakt zu Karl Korsch und dem Kommunisten Paul Mattick, mit dem er bereits aus Berlin korrespondiert hatte. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour wurde Walter Auerbach 1943 zum Militärdienst eingezogen. Da er für kriegsuntauglich erklärt wurde, leistete er seinen Militärdienst als Fotograf im Army Medical Museum in Washington ab. 1943 erhielten Walter und Ellen Auerbach die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 1944 wurde Walter Auerbach aus medizinischen Gründen ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen.
Ab 1943/44 ging die Beziehung zwischen Walter und Ellen Auerbach auseinander. Beide zogen getrennt von Elkins Park nach New York City. Walter Auerbach ließ sich schließlich in Deià auf Mallorca nieder. In den Nachkriegsjahren korrespondierte er weiterhin ausführlich mit Ellen Auerbach und seinem Bruder Carl, reiste und fotografierte. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich allerdings zunehmend, er war seit etwa 1944 an Multipler Sklerose erkrankt. Ab etwa 1960 begann er eine Beziehung zu seiner späteren zweiten Ehefrau Doreen Holles geb. Elderton (1921–2006), einer Bekannten von Barbara und Carl Auerbach. Walter Auerbach starb am 5. Juli 1966 auf Mallorca.
Über Arthur Auerbach ist bislang wenig bekannt. Er lebte 1939 gemeinsam mit seinem Bruder Carl in Berlin in der Kurfürstenstr. 20. 1941 wurde Arthur Auerbach ab Berlin nach Minsk deportiert und dort ermordet. Aufgrund des Zugangswegs über die Berliner Städtische Pfandleihanstalt, die u.a. Bücher aus den letzten Wohnungen der deportierten jüdischen Berlinerinnen und Berlinern „verwertete“, ist anzunehmen, dass Arthur Auerbach der Letzteigentümer des Buches vor dem Entzug war.
Die ZLB bedankt sich herzlich bei Anne Webber (Commission for Looted Art in Europe) und bei Klaus Winter (Jüdische Heimat Dortmund) für die Unterstützung bei dieser Restitution.
Weiterführende Informationen
- Arolsen Archives: DocID 11221091 (Arthur Auerbach).
- bauhaus kooperation berlin dessau weimar: Ellen Auerbach.
- BLHA Rep. 36A (II) 1346. Auerbach, Arthur.
- BLHA Rep. 36A (II) 1348. Auerbach, Carl.
- Graeve Ingelmann, Inka: Ellen Auerbach. Das dritte Auge. Leben und Werk. München: Schirmer/Mosel, 2006.
- Koch, Manfred: Ellen Auerbach geb. Rosenberg.
- Mapping the Lives: Arthur Auerbach.
- Messner, Anna Sophia: Palästina/Israel im Blick : Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933. Göttingen: Walstein, 2023. S. 185 ff.
- Winter, Klaus: Paul Auerbach.